Oft wurde ich von „Landratten“ über, für mich profane Begriffe der Seeschifffahrt abgefragt, deswegen hier ein kurze, unvollständige Erklärung:
Der Begriff „Schiff“ war nicht gerade der gebräuchliche Ausdruck. Man „schnackte“ von „Zossen“, „Kasten“, „Wurstwagen“, „Dampfer“, „Wanne“ oder „Pott“. Wenn ich auf so einem „Zarochel“ „fuhr“, arbeitete und lebte, war das „mein Schiff“, die Crew meine Ersatzfamilie!
„Große Fahrt“ entstammt keinem schwülstigen Seefahrerlatein, sondern ist eine feste Größe in den gesetzlichen Regelwerken für die Seeschifffahrt: „Kleine Fahrt“ findet in der Nord- und Ostsee in „küstennahen Gewässern“ statt. „Mittlere Fahrt“ führte zu allen europäischen Häfen, Schwarzes- Mittel- Nordmeer, Nord- und Ostsee und Atlantik, aber NICHT Azoren, Spitzbergen und Island. „Große Fahrt“ führte darüber hinaus, ohne Einschränkungen, überall hin.
Die Besatzung in der „Großen Fahrt“ sahen in der 1970.ziger bis 1980.zigern so aus: Klar, oben stand der „Kapitän“, auch „der Alte“, „Kaptään“, „Captain“ oder „Master“ genannt, einer der 4 Nautiker, der sich durch alle Offiziersränge nach oben gearbeitet hatte, Inhaber des „Patent“ „AG“ oder „A6“ („Kapitän auf großer Fahrt“). Ihm folgte der „1. Offizier“ auch „der Erste“, „erster Steuermann“ oder „Chiefmate“ genannt, Vertreter des Kapitän, aber im Gegensatz zu diesem im Wachdienst eingesetzt. Dann folgte der „2. ...“ und der „3. Offizier“, auch „zweiter...“ und „dritter Mate“ oder allgemein „Steuermann“ genannt. (Sorry, wenn ich hier bisher ausschließlich im männlichen Pronomen spreche: Ich habe in den 1970.ziger 80.zigern keine „Steuerfrau“, weibliche Nautikerin gesehen.) Alle Nautiker besaßen das „Patent“ „AG“ bzw. „A6“, bis auf den „Dritten“, der besaß – in seinen ersten „2 Dienstjahren“ – das „Patent“ „AGW“, dies entsprach den derzeitigen Vorschriften, nach denen ein Patenterwerber, erst einmal für 2 Jahre das „Patent“ „AGW“ erhielt, dass Patent musste „ausgefahren“ werden. Solange konnte der Inhaber nur als „3. Offizier“ eingesetzt werden. Nach 2 Jahren entfiel (automatisch) das „W“ („Wachoffizier“), das „Befähigungszeugnis“ war zu einem (normalen) „Kapitänspatent“ geworden. Das hieß natürlich nicht das die Patentinhaber eines „AG“ gleich Kapitän werden konnte, sondern sie mussten sich erst einmal, durch die Offiziersränge „nach oben dienen“. Auf See waren die 3 Wachoffiziere umschichtig auf der „Brücke“ zu finden, sie „fuhren“ das Schiff. Der Kapitän war wachfrei. Der „Erste“ besetzt die „4-8-Wache“ (von 04:00h bis 08:00h und von 16:00h bis 20:00h), der „Zweite“ die „0-4-Wache“ (von 00:00h bis 04:00h und von 12:00h bis 16:00h), der „Dritte“ schließlich die „8-12-Wache“ (von 08:00h bis 12:00h und von 20:00h bis 24:00h). Die „Steuerleute“ waren neben dem Wachdienst auch mit „Sonderaufgaben“, wie „Bordsanitäter“, Pflege der nautischen Karten- und Unterlagen, Wetterbeobachtung für den Deutschen-Wetterdienst, Ladungsoffizier und Chef der Deckscrew – um nur einige zu nennen – betraut. Um sich mit den beschriebenen Tätigkeiten „vertraut zu machen“ „fuhr“ auch, aber nicht immer, einE „OffiziersanwärterIn“, „O.A.“, „N.O.A.“ oder „Oase“ genannt mit, der/die die Wachoffiziere bei ihren („schweren“) Tätigkeiten „begleitete“ und damit das „nötige Rüstzeug“ und die Zulassungsvoraussetzungen für den Besuch der Seefahrtschule zu „erwerben“.
Leiter des Technischen-Betriebs, nach meine Einschätzung wichtiger als der Kapitän, aber von dieser Position ausgeschlossen, war der „Leitende Ingenieur“, auch „Chief“ oder „1. Ing“ genannt. Dieser besaß das „Patent“ „C6“ oder „CI“ („Ing. Grad. ...“ oder „Diplomingenieur für Schiffsbetriebstechnik“). Ihm folgte der „2. Ing“, auch „Secend“ genannt, dann der „3. Ing“, und bei „manueller Maschinenanlage“ ein weiterer „3. ...“, oder „4. Ing“, alle im Besitz des „Patent“ „C6“, „CI“, „CIW“ oder „C5“, „CT“, eventuell auch „CTW“. Inhaber des „Patent“ „C6“, „CI“ besaßen die „Befugnis“ Maschinenanlagen jeglicher Leistung zu leiten. „CIW“ zur Wahrnehmung der Aufgaben eines „3. Ing“ auf Schiffen mit jeder Maschinenleistung. Inhaber des „Patent“ „CT“ („Staatlich geprüfter Schiffsbetriebstechniker“) zum „Leiten der Maschinenanlage“ auf Schiffen mit einer Maschinenanlage bis zu einer Leistung von 8.000.KW (10.880.PS), sowie als „2. Ing“ auf Schiffen mit jeder Maschinenleistung. „CTW“ durfte die Aufgaben eines „3. Ing“ auf Schiffen mit jeder Maschinenleistung wahrnehmen. Ab Mitte der 1970.ziger fand man – nur auf Schiffen mit „wachfreier Maschinenanlage“ (wachfrei von 18:00h bis 08:00h) – auf der Stelle des „3. Ing“ oft einen „Schiffsbetriebsmeister (SBM)“, das waren durch eine Schulung vom „Deckschlosser“, aber meist „Storekeeper“ weitergebildete „Meister“, vergleichbar „Maschinenbau-Industrie-Meister“. Zusätzlich standen den „Ings“, bis zu 3 „Ingenieur-Assistenten“ sogenannte „Assis“ zur Seite. Sie absolvierten ihre 2.jährige Assistentenzeit, Voraussetzung zum Besuch der „Schiffsingenieurschule“ („Fachschule für Schiffsbetriebstechnik“) um ein „technisches Patent“ zu erwerben. Einige „Assis“, zumeist Facharbeiter (bzw. Gesellen) aus Metallberufen, „verpassten“ auch irgendwie oder schon einmal, den „Absprung“ zur „Fach(hoch)schule“ und wurden so zu „ewigen Assis“.
Ein Funker schrieb einmal in einem Buch: EineR „der wichtigsten Figuren an Bord war“ der/die „SchiffselektrikerIn“, genannt „Blitz“, ab 1982 waren auf Schiffen mit „vollautomatischer Maschinenanlage“ enE „Schiffs-Elektro-TechnikerIn (SET)“ zwingend vorgeschrieben. EinE SpezialistIn, der/die für Betrieb und Wartung der allumfassenden Elektrotechnik und Elektronik an Bord „unverzichtbar“ war. Seine/Ihre Anforderungen waren äußerst umfangreich, nahezu alle Zweige der Elektrotechnik waren auf Schiffen vertreten, Elektrische Winden, Kräne, Installationstechnik in den Aufbauten, Automations- und Steuerungselektronik für die Maschinenanlagen, diverse Elektroniksysteme auf der Brücke, und und und... „Schiffs-ElektrikerInnen“ mussten eigentlich nahezu ein „Universalgenie“ sein, wenn sie ihren zahlreichen Aufgaben gerecht werden wollten. „ElektrikerInnen“ bzw. „SETs“ unterstanden unmittelbar dem „Leitenden Ingenieur“, waren dem „2. Ing“ gleichgestellt und erhielten ein Gehalt, dass dem „2. Ing. Gehalt“ entsprach.
Der/Die „FunkerIn“ auch „F.O.“, „Sparks“, „Sparky“, „AntennenheizerIn“, schon mal scherzhaft „OberfunkrätIn“ genannt und der/die „ElektrikerIn“ bzw., „SchiffselektrotechnierIn (SET)“, allgemein „Blitz“ gerufen, waren im Gegensatz zu allen anderen Offizieren – grundsätzlich auf allen Frachtern (ab 1.600 BRT) – allein für ihr jeweiliges Aufgabengebiet verantwortlich. Über diese beide "AlleinunterhalterInnen“ kursieren unzählige schräge Geschichten, es waren halt häufig (eigentlich immer) autodidaktisch gebildete Individualisten, teilweise schräge bis quere Typen, die von der Schiffsleitung und der „Inspektion“ (administrativ nautisch/technische Leitung der Reederei), allgemein, lobend respektiert wurden. Wobei sich, nach meiner Feststellung, schrullige bis quere Typen auch unter allen anderen Seeleuten, nicht gerade selten fanden.
Der bisher genannte Personen- bzw. Personalkreis hatten Zugang zur „Offiziersmesse“, waren also „Offiziere“ oder zumindest denen gleichgestellte.
Dann gab es die sogenannte „Mannschaft“. „Meister“ der Decks-Mannschaft war der „Bootsmann“, auch „Scheich“ oder engl. „Bosun“ genannt. Ein erfahrener Seemann mit Zusatzausbildung, häufig so was wie die „graue Eminenz“ an Bord. Ihm zur Seite stand der „Deckschlosser“, „Timmi“ gerufen, auf Tankern noch der „Pumpenmann“, Spezialist für die mechanische Decks- und Ladetechnik. Die eigentliche Deckscrew bildeten die „Matrosen“, nicht alle, aber die meisten mit „Matrosenbrief“, erworben nach einer 3½.jährigen Lehre, entsprechend einem Facharbeiter- oder Gesellenbrief. Ihr Tätigkeitsumfeld war ziemlich weit gefächert: Wachdienst als zusätzliche Augen auf der Brücke, Rudergänger im „Revier“, Kanal oder bei Nebel, zur Vor- und Nacharbeit des Lade- bzw. Löschbetriebs und beim Fest- oder Losmachen des Schiffes an Pier, Pfählen oder Anker, oder Pflege und Wartung, Entrosten und Streichen des Schiffes.
Auch "in der Maschine" gab es "Mannschaften". Ihr "Meister" war der "Storekeeper" oder "Storie" genannt. Ihm unterstanden 4 bis 5 „Motorenwärter“ und „Motorenhelfer“. Die sogenannten „Schmierer“ oder „Reiniger“. Sie waren mit der Wartung, Reparatur und auch Reinigung der umfangreichen mechanischen Teile der komplexen Maschinenanlagen beschäftigt.
Dreh und Angelpunkt einer guten Bordatmosphäre war der/die „KochIn“, auch „ChefIn“ oder scherzhaft „FrikadellenschmiedIn“ genannt. Ihm/Ihr zur Seite stand bis Enden der 1970.ziger, später wegrationalisiert, der/die „KochsmaatIn“, der/die selten einE „BäckerIn“ war, aber immer so gerufen wurde. Von der Leistung des/der KöchIn, hing die Stimmung der Besatzung maßgeblich ab. „Taugte der/die KöchIn nichts“ war schnell die Laune der Besatzung „dahin“. Übrigens der Begriff „Smutje“ für den „Koch“ stammt aus der „Kriegsmarine“ und wird auf „Frachtern“ nicht gerne gehört. Geradezu verhasster ist der Umschreibung „Christliche-Seefahrt“. Also Vorsicht! Anker werden nicht „geworfen“, sondern man „lässt sie Fallen“. Dann geht nichts, auch kein Mensch „über Bord“, sondern immer „Außen-Bords“! Bitte schön... ... und überhaupt: Mehr Respekt!
Serviert wurde die Mahlzeiten in der „Offiziersmesse“ („O-Messe“) vom/von der „1. StewardEs“, in der „Unteroffiziersmesse“ (Bootsmann, Deckschlosser, Storekeeper, ggf. Pumpenmann) von dem/der „2. StewardEs“ oder vom „Wäscher“, ein Chinese, der „Max“ gerufen wurde und ansonsten für das Waschen der Schiffs- (Bettwäsche, Tischdecken, Uniformen) und Privatwäsche verantwortlich war und in der „Mannschaftsmesse“ von dem/der „2.- oder MessestewardEs“. Diese StewardEssen waren neben dem Service bei den Mahlzeiten auch für die Reinigung der Offiziers- und Unteroffizierskammern und einiger Bereiche im Deckshaus verantwortlich.
Zusammengenommen waren dieser illustre Haufen etwa 28 bis 32 „IndividualistInnen“. Ihre Zahl wurde in den 1980.zigern von den Reedern immer mehr „rationalisiert“. Als ich 1976 anfing waren wir 32, auf meinem letzten Schiff fanden sich noch 24 MitarbeiterInnen auf der „Crewlist“.
Weitere Begriffe und Einheiten
Die „Bruttoregistertonne (BRT)“ ist kein Gewicht, sondern ein 100 englische Kubikfuß, oder 2,82.qm, exakt 2.831,685 metrische Liter, umfassendes Raummaß, des gesamten umbauten Volumens eines Schiffes, zieht man das Volumen der Mannschafts- und Maschinenräume ab, erhält man die „Nettoregistertonnen (NRT)“.
- Seeleute, Reeder und Befrachter hat die (nicht-viel-sagende) „BRT“ eigentlich nie Interessiert, sondern wichtig war, was so ein „Zossen“ „wegschleppen“ konnte: Das waren die „Tons dead weight (tdw)“, also „Tonnen Tragfähigkeit“. Bei „Kühlschiffen“, wird zusätzlich des Volumen der temperierten Laderäume in metrischen Kubikmetern angegeben.
- Mein geliebter „Bananenjäger“, Kühlschiff MS Cherry, konnte in 13.232.m³ großen Laderäumen c.a. 280.000 Kartons Bananen, zusammen bis zu max. 10.973.tdw., „wegschleppen“.
- Der größte „Pott“ auf dem ich fuhr war der Tanker Cadiz, sie konnte 233.690.tdw, (je nach spezifischen Gewicht des Rohöls) etwa 280.000.qm (280.Millionen Liter) Rohöl laden.
- MS Widar, derzeit der größte Trocken-Frachter Europas, ein Bulkkarrier konnte in 11 Luken maximal 146.000.tdw Kohle laden. Bei Erz wurde, wegen der hohen Masse, 7 Räume (¾)-voll.
- Die Größe von Containerschiffen wird, im allgemeinen, mit der Zahl der zu-ladbaren „20.zig-Fuß-Container (TEU)“ angegeben, damit hat der Fachmann, die Fachfrau dann eine genaue Vorstellung von der Große solch eines „Dampfers“.
Der „Knoten (kn)“ ist ein Geschwindigkeitsmaß in der See-, Luft- und Raumfahrt, die auf der Längeneinheit der „Seemeile (sm)“ oder „nautischen Meile (nm)“ beruht.
- Auf der Erdoberfläche entspricht eine Winkelminute des Erd(Groß)kreises 1.852 m., daraus ist die Seemeile abgeleitet. > Der Vollwinkel hat 360 Grad. 1 Grad besteht aus 60 Winkelminuten. Folgt: 40.000.km Erdumfang / 360 Grad / 60 Winkel- bzw. Bogenminuten = 1,852.km = 1.852m.
Alex... bitte melden..
Re: Alex... bitte melden..
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Re: Alex... bitte melden..
Guten Morgen, Alex,
danke für diese tolle Zusammenfassung, als Mama eines N.O.A. sehr intereressant für mich.
Sohnemann studiert Nautik in Elsfleth und ich stolpere manchmal als "Landratte" über so allerlei Begriffe...
Grüße, Sylvia.
www.geschichtenkissen.de
danke für diese tolle Zusammenfassung, als Mama eines N.O.A. sehr intereressant für mich.
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Re: Alex... bitte melden..
... in Elsfleth habe ich bewohnt, als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe. Zwangsläufig hatte man Kontakt zu den Studenten der Seefahrtsschule - lange her. Ich erinnere mich an lustige Feiern. Hoffe dein Sohn hat da ein schönes Leben. Gefühlt ist es die kleinste Stadt der Welt.
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Re: Alex... bitte melden..
..letztes Jahr im September hab ich ihm den Umzug nach E. gefahren, irgendwie niedlich fand ichs da schon auch, und ja, ich denke, er fühlt sich wohl....
mich wunderten in der Umgebung nur die Straßenverläufe immer streng im 90 Grad Winkel, später wurde mir klar das hat was mit den Deichen zu tun..geschwungene Kurven kennen die da kaum..
Grüße, Sylvia.
mich wunderten in der Umgebung nur die Straßenverläufe immer streng im 90 Grad Winkel, später wurde mir klar das hat was mit den Deichen zu tun..geschwungene Kurven kennen die da kaum..
Grüße, Sylvia.