Was sind eure (wahren?) Gründe, Nähmaschinen zu kaufen?

[Veritaster]

mein geheimer Glaube ist der, dass wir uns bald von Werbung emanzipieren... wir also lernen, was hinter hohlen Versprechungen liegt...

Deine Worte in Gottes Gehörgänge aber ich sehe es ähnlich pessimistisch wie adler104. Wir leben offenbar im Zeitalter der Ansichten und Meinungen, anstatt uns von Daten, Fakten und Argumenten leiten zu lassen. Sogenannte Faktenchecker bestimmen, was richtig und falsch ist. Fachkompetenz wird nicht selten nur noch geduldet, solange die offiziellen Narrative nicht in Frage gestellt werden. Unbequeme Wahrheiten sind heute scheinbar unzumutbar geworden.

Die Veritas kenne ich noch gar nicht... schön zu hören... hoffentlich bald auch mal eine Doku hier im Forum?

Über diese Maschinen ist hier im Forum schon einiges geschrieben worden und an dieser Stelle hat Lutz vom Nähmaschinenverzeichnis sich sehr viel Arbeit mit der Dokumentation gemacht. Ich sehe mich als eher weniger kompetent, dem noch Wesentliches hinzufügen zu können. Kann nur sagen, daß diese Maschinen bei guter Pflege sicher auch dann noch zuverlässig funktionieren werden, wenn der überwiegende Teil der modernen "Plastikbomber" schon lange in der Tonne verschwunden sein wird.

[nicolleen]

Nicht zu vergessen, die Aussicht, dass in einem bevorstehenden Blackout, wenn alles stillsteht, die alten Pfaffs und Singers etc. froehlich vor sich hin rattern werden ;-)

lg
niki

[nicolleen]

@ adler104

Ich sehe das wie du. Ich glaube ausserdem, dass das eigentliche Problem erst der Segen, dann der Fluch des Internets ist. Man findet so leicht Gleichgesinnte, auch seltene, und die konzentriert. Dadurch verlernt man immer mehr, andere Meinungen und Sichtweisen zu sehen, zu ertragen, vielleicht sogar zu diskutieren und andere Meinungen zu akzeptieren. Dadurch kommt man gar nicht mehr in die Verlegenheit, irgendetwas aus der Nachbarsblase mitzubekommen, und seien es auch die logischen Argumente fuer eine Impfung gegen eine potentiell toedliche Krankheit.

lg
niki

[Michele005]

EDIT:

oooouh - ich habe mich wieder hinreißen lassen...

seeehr schön.... nun lege ich mal los:

Quatsch... im Gegenteil, habe mich köstlich amüsiert...

Du/Ihr Nikki und Veritable habt ja völlig Recht... aber es bringt auch nix pessimistisch zu sein... Klar ist: der Mensch bleibt Mensch... aber je mehr Menschen auch die positiven Seiten fokussiern um so besser... mehr wollte ich ja gar nicht sagen...

[Veritaster]

aber es bringt auch nix pessimistisch zu sein...

Stimmt bestimmt
Ich denke, Du hast völlig Recht, man sollte wohl versuchen, die Dinge zu sehen, wie sie sind und das Beste daraus machen.
In Anbetracht der in den heutigen Produkten installierten Obsoleszenz, sind wir mit der Pflege der alten Nähma-Schätzchen ja in gewisser Weise Bewahrer des Nachhaltigkeitsgedankens,
denn in der heutigen Industriegesellschaft gilt ein lange haltbares-, also nachhaltiges Produkt, als nicht nachhaltiges Geschäftsmodell - welch ein Irrsinn.
Kurzum, jeder hier verdient eigentlich den Nachhaltigkeitsorden erster Klasse.

[Michele005]

... man sollte wohl versuchen, die Dinge zu sehen, wie sie sind und das Beste daraus machen.
In Anbetracht der in den heutigen Produkten installierten Obsoleszenz, sind wir mit der Pflege der alten Nähma-Schätzchen ja in gewisser Weise Bewahrer des Nachhaltigkeitsgedankens,
denn in der heutigen Industriegesellschaft gilt ein lange haltbares-, also nachhaltiges Produkt, als nicht nachhaltiges Geschäftsmodell - welch ein Irrsinn.
Kurzum, jeder hier verdient eigentlich den Nachhaltigkeitsorden erster Klasse.

.... auch ´bzw gerade ohne den Orden... Habe gestern gerade wieder über Motivation vs Motivierung referiert: "Weniger extrinsisch= Mehr intrinsich" (versuche es hier aber gleich wieder zu lassen )

Wir haben Spaß am Tun, bleiben völlig absichtslos, wollen niemanden missionieren...

[nicole.boening]

aaalso - dann will ich auch einmal ...
1. Warum kaufen wir oder andere Menschen eigentlich seit Jahren Nähmaschinen?
Du meinst, warum überhaupt: Also ich hatte die Nase von der Mode voll, als die 80er Jahre zum zehnten Mal in die Modewelt Einzug gehalten haben. Da wollte ich lieber selbst nähen. Erstaunlicherweise klappte das ganz gut. Eigentlich empfand ich Nähen als Weiberkram und bin eigentlich überhaupt kein Handarbeitsmensch. Aber Nähen geht so fix und wenn man eine Bohrmaschine bedienen kann und räumliches Vorstellungsvermögen hat, ist es gar nicht schwer.
Du meinst - warum so viele??? Inzwischen mag ich die alte Technik und herauszufinden wie sie alle funktionieren. Mich interessiert vor allem die technische Entwicklung. Insbesondere die Schwelle von der mechanischen Zierstichsteuerung zur elektronischen. Es gibt immer noch Entwicklungen, die ich nicht in meinem Regal habe. Also muss ich noch eine Maschine haben.

2. Wie hat sich dieser Grund im Laufe der Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte gewandelt?
Ganz früher war es einfach günstiger selbst zu nähen oder Frauen haben sich durch Näharbeiten etwas dazu verdient. Heute ist es sicher auch ein Stück Selbstverwirklichung und meist Luxus ... vielleicht auch der Wunsch, bestimmte Dinge selbst herzustellen.

3. Warum kaufen Menschen auch heute noch Nähmaschinen und führen dazu, dass diese vielen Plastikbomber weiterhin und in nicht unbeträchtlicher Stückzahl produziert werden?
Weil sie es nicht besser wissen. Ich habe genau so angefangen.

4. Warum kaufen Menschen, die wirklich eine Nähmaschine brauchen keine gebrauchten?
Weil sie es nicht besser wissen. siehe oben.

[Michele005]

aaalso - dann will ich auch einmal ...


...

Guten Morgen, Nicole

das ist mal eine sehr ausführliche Antwort und schön, Deine Interpretationen zu lesen.

Dabei merke ich, wie schwer es ist Fragen eindeutig zu stellen... oder besser: wie schön es ist, zu sehen, wie Menschen Fragen lesen!

Anfangs hatte ich bereits fixe Gedanken, doch durch die vielen Antworten aus dem Forum, haben sich meine fixen Gedanken ein wenig aufgelöst, zumindest differenziert...

1. Dahinter verbarg sich meine Idee, dass ja "niemand" (als Querschnitt der Gesellschaft) wirklich eine Nähmaschine braucht... doch Sammeln, Aufrechterhaltung, Verstehen sind wundervolle Motive und viele hier nähen sogar!

2. Wir haben seit dem letzten Krieg eine Veränderung der Motive zum nähen... Heute ist es Selbstverwirklichung, bis in die 50er Jahre war es vermutlich auch mehrheitlich noch praktisch eine Nähmaschine im Haushalt zu besitzen und Dinge selbst zu reparieren. So erklärt sich vielleicht auch der Knick in den Verkaufszahlen und die Krise der Nähmaschinenhersteller danach - und vielleicht auch die mehrheitliche Nutzung weniger dauerhafter Materialien?

3. Hier dachte ich tatsächlich: "Wie kann man nur?" Das macht keinen Sinn! Doch das ist zu einfach: Wie Du schreibst: Die Idee der Selbstverwirklichung ist ja in vielen von uns noch vorhanden. Und eine alte Nähmaschine wird in vielen Haushalten eben dann abgegeben, wenn sie "auf einmal" nicht mehr macht, was der Nutzer, die Nutzerin will. Dann kommt sie eben in unsere Hände! Und der nächste Plastikbomber wird bestellt...

4. ... oder man fängt wie Du (und ich auch) mit dem Plastikteil an. Und soo schlecht sind sie ja tatsächlich nicht... meiner läuft sogar noch (zumindest bis Frühjahr 20... da habe ich ihn zuletzt benutzt)... Wobei: Ich habe schon in den siebzigern auf der Adler 453 meiner Mutter genäht und fand den Fußbetrieb nervig! Also hat das "Versprechen" einer "modernen" Kunststoffmaschine auch bei mir gewirkt (na genau genommen bei meinr Mutter, die sie mir zu Weihnachten geschenkt hat)

Ergänzung: Erst 2019 überraschte ich meine Mutter, als ich ihr erzählte, dass ich mir zwei 1222 gekauft hätte... was sie nicht verstanden hat

Es bleibt also ein gewisses Paradoxon übrig...

[Eicher]

Moin,
gekauft hab ich erstmal nicht, sondern erinnert, das so seit 1990
ein rum steht... eine LOTUS..... Katastrophe
Dann 2020 eine Pfaff 31 gekauft für Lau......
Dann kam der Nachbar ..... mit einer Privileg.
Dann hab ich 100€ + Versand eine Pfaff 332 ersteigert.

Dann eine Pfaff 130 zu verschenken
Dann eine Pfaff 230 vom Nachbar........ für Nix.
Und die Tage eine Pfaff 230 für 1€...
Die 2 Pfaff 230 bekommen die Enkeltöchter.
Die Pfaff 31 in den Wohnzimmerschrank hinter Glas
Die 332 und die 130 bleiben bei Opa.
Weil der Spaß an der Technik hat, und das Nähen..... werd scho....
Und weil ich keinen Bock auf so Platikbomber hab.
Die Maschinen gehörten zur Aussteuer der Frau bei Heirat, so in den 1950-1960zigern.
Wirtschaftswunderzeit. Nur ging es dann hallt rasant Aufwärts, und Mutti hatte
keine Böcke, Nähen zu lernen..... Man konnte ja alles Kaufen!
Meine Mamma mit 7 Kindern allerdings näht heute noch!

[HusPfaSing]

Bei mir war der Anfang das Nähen und die dazu nötige Nähmaschine die grüne Husqvarna ZZ mit dem Untersetzungsgetriebe.

Danach kam die 2000 (Gelegenheitskauf) mit der ich viele Jahre glücklich war, mit den vielen Stichen, von denen ich tatsächlich auch welche gebraucht habe, auch mit Reduktionsgetriebe.

Viele Jahre später dann kam die vollelektronische Linea 6690 (hat mich im Brockenhaus angelacht), die 2000 näht nun in Kuba.

Dann, wie halt die Zufälle so fallen, bin ich über eine gepflegte Singer 431G gestolpert (immerhin Fr. 100.-) und habe mich spontan verliebt. Diese Zahnräder - himmlische Musik! Diese Mechanik - faszinierend!

Dann - oh Schicksal - bekam ich ein Angebot bei einer Kollegin in ihrem Arbeitsraum Nähmaschinen her zu richten, zu lagern und (ev.) zu verkaufen. Das war dann der Anfang ohne Ende. Es sind inzwischen 60 Nähmaschinen geworden, einige sind wieder entsorgt und andere tatsächlich verkauft. Fasziniert haben mich die Elna 1, alle Singer 4xx und 6xx, Helvetia 404 und Keller. Die Berninas sind nicht so mein Geschmack, dann sind mir die anderen Elnas mit Umlaufgreifer (auch mit Plastik im Getriebe) lieber.

Genäht dann habe ich 2 Jahre lang auf einer Singer 676G und fand die so ziemlich das Beste was gibts, mit oben zugänglichem Umlaufgreifer, Einfädler einer 670G, Nutzstichen und dem Kettenstich - in Vollmetall! Da bei den Singer 6xx auch Plastik verbaut ist, habe ich Teile einer 421G verbaut: Gleitstein beim Transporteur-Verstellhebel, Fadenspannung und Lager der Nadelstange. Die Plastik Zwischenscheiben bei den Kurvenscheiben überleben die nächsten 50 Jahre auch mit Rissen.

Dann habe ich eine Keller (Fr. 1.-) mit kaputten Zahnriemen erstanden und umgebaut auf metrische Zahnriemen, weil mich die Technik extrem faszieniert. Damit nähen dann ist - auch dank ihres Leichtlaufs - leider wenig komfortabel. Umlaufgreifer unten und sie müsste um langsam nähen zu können eine Bremse haben wie die grünen Elnas der 1. Generation.

Dann bin ich über eine Pfaff 1222E gestolpert mit defekter Fusstange (Fr. 50.-). Alles war verstellt, Fusspedal hatte einen Wackel, jemand hat da kräftig herumgeschraubt. Aber jetzt läuft sie - als Zugabe mit dem neuen Schablonenblock - wieder. (Der original Schablonenblock dreht nun in einer zweiten 1222 mit gebrochenem Schablonenblock und defektem Pedal).

Weil die Pfaff 1222E nun wirklich anstandslos und leise läuft, die Bedienung inkl. des Nadelstop oben, der Motorelektronik, den Nutzstichen, dem Einfädler, dem Knopflochautomat usw. wirklich praktisch ist, musste die Singer 676G weichen. Das viele Plastik in der Pfaff und der unpraktische Fadenwechsel unter dem Tisch ist schon nicht mein Stil, aber es stehen ja noch die Singer und die Keller und wenn kein ZZ nötig ist die Elna 1 parat.

Vorerst ist beschlossen keine weiteren Maschinen mehr her zu richten, zuerst müssen die fertigen weg. Und schlussendlich ist ja vor allem das Nähen auf (m)einer tiptop eingestellten und geölten Maschine das was mich glücklich macht.

Gruss Jürg