Verschiedene Fadenwege

Antworten
Nachricht
Autor
HeatGuyJ
Neu im Forum
Neu im Forum
Beiträge: 20
Registriert: Mittwoch 29. September 2021, 09:38
Wohnort: Wetterau

Verschiedene Fadenwege

#1 Beitrag von HeatGuyJ »

"Es ist ein Unterschied, ob man den Weg kennt oder ihn beschreibt", sagte Morpheus zu Neo…

Ich möchte euch nachfolgend gerne einige wissenswerte Informationen über alternative Möglichkeiten der Fadenführung an die Hand geben. Es betrifft im Wesentlichen die amerikanischen Rocketeer Maschinen, also die 500er Serie und die in Karlsruhe hergestellten Modelle 411g und 431g. Die 431g wurde übrigens von den Amerikanern treffender Weise "Convertable" genannt.
Die Eigenschaft, die alle genannten Modelle verbindet ist die Tatsache, dass diese Typen über eine "Automatic Thread Control", also eine automatische Fadenkontrolleinrichtung verfügen. Im folgenden Bild gut zu sehen.
Automatische_Fadenkontrolleinheit.jpg
Dieser Mechanismus wurde Anfang der 60ger Jahre in die oben genannten Modelle eingebaut. Soweit mir bekannt ist, sonst in keine anderen Modelle von Singer. Hier könnte man, wenn man mag, Parallelen zu den Slant Shaft Mechanismus ziehen, der auch nur in den 60ger und 70ger Jahren Anwendung fand.

Was bewirkt die automatische Fadenkontrolleinheit? Laut damaligen Aussagen der Firma Singer sollte der besagte Mechanismus die korrekte Menge Garn abwickeln, bevor die Nadel in den Stoff eintaucht. Ob der Mechanismus wirklich eine gute Idee war bleibt fraglich, da dieser nur in der 500er Serie und den in Deutschland gefertigten 411g und 431g Modellen verbaut wurde.

In den späten 60ger, Anfang 70ger Jahren wurden Double Knit Fabrics (übersetzt: Doppelstrickstoffe) in Amerika recht populär. Ältere Maschinen, vor allem die 500er Serie sowie die 411g als auch die 431g hatten damit Probleme, da sie bereits Anfang der 60ger produziert wurden. Anfang 1972, also gut 10Jahre nach dem Erscheinen der betroffenen Nähmaschinenmodelle, brachte Singer den "Knit Kit" heraus, also eine Art Retrofit. Dieser sollte die entsprechenden Maschinen dazu befähigen, die populären Double Knit Fabrics sauber und einwandfrei zu vernähen. Ich kenne jetzt nicht im Einzelnen die zum Knit Kit gehörigen Einzelteile, aber es war in jedem Fall ein verändertes Hook System (Greifersystem), welches näher an die Nadelstange gesetzt werden konnte, um die Fehlstiche der Maschine somit wirkungsvoll zu unterbinden. Dieser Knit Kit wurde von Singer an autorisierte Fachhändler verschickt und man konnte sich diesen Kit kostenpflichtig vom Singer Fachhändler einbauen lassen. In wie weit man als Laie bzw. Nähmaschinenbenutzer in der Lage war, eine so umgerüstete Maschine zu erkennen, ist mir nicht bekannt.

Viele Benutzer fanden allerdings bereits vor dem Erscheinen des Knit Kits heraus, dass durch eine veränderte Fadenführung den unvermeidlichen Stichaussetzer bei der Verarbeitung von Double Knit Fabrics wirkungsvoll entgegen getreten werden konnte. Auch soll wohl Singer eine Information herausgegeben haben, in wie weit die Fadenführung bei verschiedenen Stoffarten wirkungsvoll optimiert werden kann. Leider entzieht es sich an dieser Stelle meiner Kenntnis, ob die genannten Informationen nur an autorisierte Singer Fachhändler heraus gegeben wurde, oder ob die Informationen lediglich unter den Benutzern kursierten, also ohne offizielles Statement von der Firma Singer selbst.

Nachfolgend möchte ich euch die mir bekannten Varianten der Fadenführung für die betreffenden Modelle aufzeigen. Zunächst die im Handbuch beschriebene Methode.
Fadenfuehrung_Original.jpg
Der Faden wird hier horizontal an der automatischen Fadenkontrolleinheit vorbei geführt.

Nachfolgend eine geänderte Fadenführung, die mit sehr feinen, leichten Stoffen zuverlässig funktionieren soll.
Fadenfuehrung_Variante1.jpg
Bei dieser Variante wird der Faden direkt von der oberen Führung in den Tensioner (Fadenspanner) geführt. Dies entspricht ziemlich genau der Fadenführung eines 401g Modells. Ich benutze diese Variante fast ausschließlich bei der Verwendung von zwei Nadeln.

Sehen wir uns Variante 2 an.
Fadenfuehrung_Variante2.jpg
Der Faden wird hinter der -oberhalb des Fadenspanners montierten- Fadenführung entlang geführt und gelangt dann direkt in den Zwischenraum zweier Fadenspanner-Disks. Ich persönlich nehme immer den Zwischenraum zwischen Disk 2 und 3, bei Verwendung einer Nadel. Wie bereits weiter oben beschrieben, wird diese Variante bei der Verwendung von Double Knit Fabrics von Besitzern der 500er Serie und natürlich auch der 411g bzw. 431g favorisiert. Diese Fadenführungsvariante findet wohl aber auch generell bei allen anderen Stoffen eine hohe Beliebtheit. So auch bei mir.

Fazit:
Wie man aus meinen Ausführungen ableiten kann, gibt es bei den oben aufgeführten Modellen nicht unbedingt ein Richtig und ein Falsch in Bezug auf die Fadenführung. Ich persönlich richte mich zunächst immer erst mal nach dem Handbuch. Was dort drinne geschrieben steht, ist erst mal Gesetz. Wer soll es denn besser wissen als der Hersteller? Genau das ist aber die Frage, die, wie ich meine, von Anwendung zu Anwendung unterschiedlich beantwortet werden kann, ja sogar muss. Eine Maschine wird für die Begebenheiten und Anforderungen konstruiert, die zu einer bestimmten Zeitepoche vorherrschen und natürlich auch den Machbarkeitsrahmen nicht sprengen. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass z.B. 10 Jahre später eine Anwendung auftaucht, die mit der "gealterten" Maschine machbar wäre, wenn denn kleine technische Veränderungen durchgeführt werden würde...

OK, ich hoffe, dass euch mein kleiner Ausflug in die Geschichte unserer geschätzten Arbeitswerkzeuge gefallen hat. Das soll es dann auch vorerst von meiner Seite her gewesen sein. Ich wünsche allen: Fröhliches Ausprobieren!
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

gelöschter User N

Re: Verschiedene Fadenwege

#2 Beitrag von gelöschter User N »

Hatte m.w.n. mit dem Kettenstich zu tun.
[EDIT] meint, ich sollte hinzufügen dass die Maschinen mit Thread Control auch Kettenstich konnten, z.B. auch die 432 - hier könnt ihr sie sehen => (aber nur für kurze Zeit)

Kettenstich ist wie Luftmaschen Häkeln durch den zu vernähenden Stoff
Vorteil: Man braucht nur einen Faden - den Oberfaden (der Oberfaden kann dann ein 10.000m Konus sein)
Man braucht keinen Unterfaden mehr

Die Naht lässt sich leicht aufribbeln. Der Kettenstich war also als Alternative zum Reihfaden gedacht.

Im deutschen Manual der 411 ist die Kettenstichnaht ab Seite 22 beschrieben ... allerdings
wird dabei nicht auf die Fadenkontrolleinheit eingegangen - es wird beim Thread Control zwar durchgefädelt und auf eine zusätzliche Schlaufe - die Kettenstich Fadenöse verwiesen, durch die gefädelt werden muss, wenn man Kettenstich nähen möchte. Weiterhin kann Kettenstich nicht rückwärts genäht werden (also ausschließlich vorwärts nähen und ggf - nach alter Mütter Sitte - das Nähgut um 180 ° drehen.)
Bei Nahtbeginn muss der Gelenkfadenhebel oben sein (damit kein Zug auf die zu beginnende Naht ausgeübt wird)
HeatGuyJ hat geschrieben: Dienstag 2. November 2021, 12:41 Die 431g wurde übrigens von den Amerikanern treffender Weise "Convertable" genannt.
convertible?

HeatGuyJ
Neu im Forum
Neu im Forum
Beiträge: 20
Registriert: Mittwoch 29. September 2021, 09:38
Wohnort: Wetterau

Re: Verschiedene Fadenwege

#3 Beitrag von HeatGuyJ »

Ganz genau Nopi, "convertible" ist die richtige Schreibweise.

Grüße

Benutzeravatar
Alfred
Edelschrauber
Edelschrauber
Beiträge: 1525
Registriert: Dienstag 20. März 2018, 20:23
Wohnort: Gauting bei München

Re: Verschiedene Fadenwege

#4 Beitrag von Alfred »

Control würde ich mit steuern übersetzen, also mit Steuereinheit, der Faden wird gesteuert und nicht kontrolliert.
kein Import von Soja, Rindfleisch und Holz zum Schutz der Regenwälder
im Einsatz: Pfaff Jeans, OL AEG NM 760A, die Anderen kommen und gehen angel
Moderator in http://www.werkzeug-news.de/forum

gelöschter User N

Re: Verschiedene Fadenwege

#5 Beitrag von gelöschter User N »

@Alfred weißt Du was -technisch gesehen - der Unterschied zwischen einer Steuerung und einer Regelung ist?
https://www.ingenieurkurse.de/regelungs ... gelung.htm
https://www.elektroniktutor.de/regelung ... elung.html

wegen der fehlenden Erfassung der Ist Werte können das - technisch gesehen - nur Steuerungen sein. Wenn Du beim Nähen mal darauf geachtet hast, wie unruhig eine drehende Garnrolle ist und dass es natürlich Auswirkungen hat ob der Gelenkfadenhebel gegen die Rolle zieht oder mit der Rolle ...
darum haben einige Maschinen
a) liegende Garnrollen die sich wenig bis gar nicht drehen
oder
b) der Faden wird nach oben - von einem Konus ! - abgewickelt.

Sehr vorteilhaft das Ganze. beerchug

Benutzeravatar
dieter kohl
Moderator
Moderator
Beiträge: 12279
Registriert: Dienstag 18. Dezember 2012, 19:50
Wohnort: 97440 Werneck - Ettleben

Re: Verschiedene Fadenwege

#6 Beitrag von dieter kohl »

Nopi hat geschrieben: Dienstag 2. November 2021, 16:18 Hatte m.w.n. mit dem Kettenstich zu tun.
[EDIT] meint, ich sollte hinzufügen dass die Maschinen mit Thread Control auch Kettenstich konnten, z.B. auch die 432 - hier könnt ihr sie sehen => (aber nur für kurze Zeit)

Kettenstich ist wie Luftmaschen Häkeln durch den zu vernähenden Stoff
Vorteil: Man braucht nur einen Faden - den Oberfaden (der Oberfaden kann dann ein 10.000m Konus sein)
Man braucht keinen Unterfaden mehr

Die Naht lässt sich leicht aufribbeln. Der Kettenstich war also als Alternative zum Reihfaden gedacht.

Im deutschen Manual der 411 ist die Kettenstichnaht ab Seite 22 beschrieben ... allerdings
wird dabei nicht auf die Fadenkontrolleinheit eingegangen - es wird beim Thread Control zwar durchgefädelt und auf eine zusätzliche Schlaufe - die Kettenstich Fadenöse verwiesen, durch die gefädelt werden muss, wenn man Kettenstich nähen möchte. Weiterhin kann Kettenstich nicht rückwärts genäht werden (also ausschließlich vorwärts nähen und ggf - nach alter Mütter Sitte - das Nähgut um 180 ° drehen.)
Bei Nahtbeginn muss der Gelenkfadenhebel oben sein (damit kein Zug auf die zu beginnende Naht ausgeübt wird)
HeatGuyJ hat geschrieben: Dienstag 2. November 2021, 12:41 Die 431g wurde übrigens von den Amerikanern treffender Weise "Convertable" genannt.
convertible?
serv

ich kenne diese Art der Fadenführung ( Fadenvorholung ) auch nur von Kettenstichmaschinen

die Singer-Verkäufer machten mit dem Kettenstich das Heften den Kunden schmackhaft
jedoch verbraucht der Kettenstich 30 % mehr Faden als das Heften mit lockerer Oberfaden-Spannung

dies dürfte der Grund gewesen sein, daß das Projekt dann eingeschlafen ist
gruß dieter
der mechaniker

gelöschter User N

Re: Verschiedene Fadenwege

#7 Beitrag von gelöschter User N »

Nopi hat geschrieben: Dienstag 2. November 2021, 16:18 Hatte m.w.n. mit dem Kettenstich zu tun.
[EDIT] meint, ich sollte hinzufügen dass die Maschinen mit Thread Control auch Kettenstich konnten, z.B. auch die 432 - hier könnt ihr sie sehen => (aber nur für kurze Zeit)
und hier das Modell 422G => (aber nur für kurze Zeit)

Antworten