Besonderheiten der Singer 319K

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gelöschter User N

Re: Besonderheiten der Singer 319K

#31 Beitrag von gelöschter User N »

Danke Berit für diesen sehr fundierten und ausführlichen Bericht. Einige Dinge habe ich bislang nur vermutet - fühle mich aber durch Dich bestätigt.
- die Passgenauigkeit der Teile liegt (etwa) im oberen Mittelfeld - ist aber definitiv kein Schweizer Uhrwerk!
- die Gesamtkonstruktion / Konzeption ist kein Geniestreich (aber auch nicht grottenschlecht)

Deine Kritik am Anlasser: Dein Anlasser ist nicht der Originalanlasser - die originalen Anlasser waren mit Pedal. Ich nehme an, ein Kondensatorproblem wurde gelöst, indem man einfach zum neueren Anlasser gegriffen hat. Sogar die Singer 401 wurde noch mit Pedalanlasser ausgeliefert. Diese Knopf Anlasser empfinde ich auch als gewöhnungsbedürftig. Mit Puschen (im Winter) oder barfuß im Sommer tritt man auf dem kleinen Knopf wie auf einen spitzen Stein.

Zum Nadelproblem hast Du alles gesagt und den Lösungsweg aufgezeigt.

Meiner Meinung nach ist jedoch folgendes zu diesen Maschinen zu sagen: Man vergegenwärtige sich den Nähmaschinenmarkt 1957 weltweit und dann in Deutschland.
Weltweit dominierte Singer zu der Zeit den internationalen Markt. Die deutschen Nähmaschinenproduzenten mußten erst einmal ihre zertrümmerten Werke wieder aufbauen, dann eine Währungsreform verkraften und anschließend fanden einen nationalen Markt mit hoher Nachfrage und geringer Kaufkraft vor sowie keine aktive Vertriebsstrukturen im Ausland und nach dem beschädigten Ruf der deutschen im Ausland war es auch nicht so einfach. Gleichwohl hatten die deutschen Produkte immer noch einen sehr guten Ruf - auch im Ausland.
Singer in Deutschland produzierte bis 1945 in Wittenberge. Das Werk wurde demontiert (genau wie andere Werke auch im Ruhrgebiet) und von den Siegermächten als Reparationsleistungen mitgenommen. Nach 1945 hatte Singer in Deutschland keine eigene inländische Produktion bis 1958 light sondern nur eine sehr gute aktive eigene Vertriebsstruktur.

Nun zu dem internationalen Markt: Singer hatte mit der 206 seit etwa 1935 eine Haushalts Zick Zack Maschine - Pfaff und Phoenix schon etwa ein Jahr früher - Mundlos war wohl der erste, der seit 1928 eine Haushalts Zick Zack Maschine angeboten hatte.

Die erste Automatik kam von Bernina 117L ? Ende 1938 bis 1940?
Laut Renters Auflage 8 Band 3 Seite 228 ff hat - gegen Ende 1886 von Kayser (der auch die ZickZack Nähmaschine erfunden hat) ein Patent für Kurvenscheiben angemeldet und
ein Patent von Köhler, Altenburg 1938 für eine Anbau Automatic
Interessant aus der Vielzahl der Patente nach dieser Zeit ist auch das Patent Beck-
mannshagen , Anker-Werke, BP 802364 vom 2. 10. 1948 (vier auswechselbare Muster-
scheiben für die Stichbreite, Stichlage, den Stichsteller; Antrieb der Musterscheiben
über Getriebe, mehrere Geschwindigkeitsstufen).
Das Verdienst, durch Entwicklung brauchbarer Konstruktionen das automatische
Ziernahtnähen nach 1950 bekannt und den Hausfrauen wertvoll gemacht zu haben,
steht den Firmen Elna und Necchi zu. Diesem Beispiel folgten später auch die Firmen
Adler, Anker, Pfaff u. a. Es haben sich seitdem bestimmte Konstruktionsrichtungen abgezeichnet, so daß es vertretbar ist nachfolgende Unterteilungen vorzunehmen
Nach dem Krieg, als die Menschen in Deutschland in den Trümmern standen war das Bedürfnis sich aus Dreck und Elend zu erheben vermutlich besonders stark. Darum ist (meiner Meinung nach) der Zierstich so wichtig und eine Zierstich Automatik an Haushaltsmaschinen ein gewichtiges Verkaufsargument. Die Bekleidungsindustrie war erst mal zweitrangig - zunächst mußte die Schwerindustrie und die Produktionsgüter Herstellung angeschoben werden. Erst danach erfolgte die Produktion von Konsumgütern. Und erst mit der Herstellung von Konsumgütern bekamen dann die Versandhäuser (Quelle und Neckermann) ihren gewaltigen Aufschwung.

Zurück zu den Nähmaschinen:

Bernina hatte Anfang 1940 eine Zierstichautomatik.
Pfaff baute 1950 den Coffee Grinder - die Zierstichautomatik für die Pfaff 130, verfeinerte diese Automatik und baute 1954 die 230 mit der neuen Automatik.
Zu der Zeit stand Singer in Deutschland ohne eigene Produktionsanlagen da und Singer weltweit hatte wegen des fehlenden internationalen Konkurrenzdrucks die Automatik gar nicht auf dem Schirm. Die konnten ihre Produkte auf "ihren Märkten" auch ohne Automatik verkaufen.
Das änderte sich, als die deutsche (und Schweizer) Fabrikation den Export aufgebaut hatten und International verkauften (Export) .
Singer lag zu der Zeit technologisch weit zurück. Die Singer 306 wurde in Kilbowie 1954 entwickelt und gefertigt. Darum musste Singer 1958 Haid&Neu übernehmen, um technologisch den Anschluss nicht völlig zu verlieren und die 316 (welche eigentlich auf das Konzept der Haid & Neu Primatic bzw Unimatic zurück geht) wurde erst seit dem Jahr 1958 in Deutschland produziert und verkauft ! Siehe Renters Seite 264 !!!

Was hatte Singer 1956 auf dem internationalen Haushaltsmaschinen Sektor zu bieten?
- Singer hatte seit erst ab 1956 light eine Haushaltsnähmaschine mit Freiarm - den Geradestich Featherweight 222 K light
- Singer hatte keine Zierstich Automatik die mit der einer Bernina, Anker oder gar Pfaff mithalten konnte (Vergleiche Renters Auflage 8 Band 3
- Singer hatte keinen Einfädler (wie Pfaff 230)

Aber Singer hatte ein Internationales Vertriebsnetz und war eine amerikanische Firma, die Amerikaner hatten eine Marketing und PR Kultur, die die Dinge schöner und größer aussehen lässt.

noch was interessantes; Renters Auflage 8 Band 3 ab Seite 285 wird Singer Automatic besprochen:
DIE SINGER-AUTOMATIC 306 K, 316 G u. 319 W
Außer der bisher bekanntgewordenen Singer-Automatic 306 K mit Zentralspulen-
greifer
liefert die Singer Co. noch die Haushalt-Automatictypen 316 G und 319 W
mit zweimal umlaufendem Greifer S 95.

...

Für ausgesprochenes Ziernahtnähen sind an der Vorderseite des Armes, ähnlich
wie bei der Klasse 306 K und 316 G, auswechselbare Einzelsteuerscheiben einsetzbar,
die durch einen Sonderhebel ein- und ausgeschaltet werden können .


Drucklegung von Renters Nähmaschinenfachmann war 1958 - der Text war Dezember 1957 abgeschlossen. Dementsprechend kann man sehen was es damals an Wettbewerbsmodellen gab.

Zündapp Elkonamatic, Phoenix 283 und 283 F Freiarm, Pfaff 230 , 332 bzw 338 Freiarm, Messerschmitt 154 bzw 54 Freiarm, Necci Supernova ! Meister hatte die Reginamatic, Fridor NM 10! Gritzner FZ, Gritzner VZ (GA / GAs) Elna Supermatic, Elna Transforma, Dürkopp 1033 mit Freiarm und 1031 Bernina und Anker RZ, Adler.

Singer hatte 1955 weder eine Haushalts Freiarmmaschine noch eine Automatic light 1958 sah eine Singer 319 zwar optisch gut aus, war aber - meiner Meinung nach - technisch (auf dem deutschen Markt) nicht wettbewerbsfähig. und konnte in einem direkten Vergleich einer Pfaff 230 332 338 oder 260 nicht bestehen.
Darum gibt es so wenig 306 oder 319 oder 320 in den deutschen Kleinanzeigen (als beispielsweise 216G und 316G) und darum sind die Maschinentypen 306und 319, 320 insgesamt weniger gebaut worden.
Auch interessant: Singer 226U aus Japan => https://www.singersewinginfo.co.uk/226u

gelöschter User N

Re: Besonderheiten der Singer 319K

#32 Beitrag von gelöschter User N »

ich recherchiere und editiere immer mehr - es geht vor allem um die Evolution der Zierstiche => Automatic - ein altes Thema - viewtopic.php?f=36&t=8267

Dennoch ist es wichtig sich mal die Lage des internationalen Singerkonzern 1958 zu vergegenwärtigen dodgy wir sehen das heute mit ganz anderen Augen und wie ich glaube mit einem anderen Blickwinkel - wir sind verliebt in unsere Oldtimer und haben vergessen, daß die auch mal verbissen um Marktanteile kämpfen mußten.

gelöschter User N

Re: Besonderheiten der Singer 319K

#33 Beitrag von gelöschter User N »

Berit hat geschrieben: Donnerstag 10. November 2022, 10:45 6. Schlechte Zugänglichkeit der Spulenkapsel
Das ist korrekt, aber auch nicht schlechter, als bei allen anderen Nähmaschinen, bei denen der Greifer so angebracht ist. Ist die Maschine im Tisch eingelassen, so muss man sich ziemlich verbiegen, um die Kapsel einzusetzen, aber es wird vermutlich gehen, ohne die Maschine zu kippen und bei einiger Routine auch blind, denn es gibt ja keinen Grundplattenschieber, um das Ganze unter Sichtkontrolle vorzunehmen, wie z.B. bei Pfaff. Ist die Maschine im Sockel, muss sie nach hinten gekippt werden (wie bei fast allen anderen Maschinen, die in Sockeln untergebracht sind), um die Spule zu wechseln. Der fehlende Grundplattenschieber ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Singer 319. Die Singer 216 z.B. hat den auch nicht. Dies ist m.M.n. ein echter Nachteil aller Nähmaschinen, bei denen das so konstruiert ist.
Hallo Berit,
Bei meinem nächsten Besuch zeige ich Dir, wie das bei Singer geht - bei Singer wird die Platte als Ganzes geschoben und dazu heben sie die Stichplatte zuerst über die Zähne vom Transporteur.
Dazu nutze Singer bei der 306 und 319 vermutlich ein Werkzeug (Schraubendreher als Hebel) - vorn im ovalen Fingerloch - ein Kniff den man damals im Singer Shop gezeigt bekam. Man kann den kleinen schwarzen Pfaff Schraubendreher sehr gut dafür nutzen biggrin (oder einen Eis Stil aus Buchenholz, damit es keine Kratzer gibt, oder einen Eierlöffel ...)
Bei der Singer 215 ist die Stichplatte geteilt
bei der Singer 216 und 316 (neue Form) ist die Stichplatte durchgehend (wie bei Singer 206) - allerdings gibt es die 216 und 316 Stichplatten mit und ohne Ovalloch zum Hebeln. bei den Stichplatten ohne Ovalloch ist die feder so weich, dass einfacher Fingerdruck vorne genügt, um die Stichplatte über die Zähne vom Feed dog zu hebeln

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Re: Besonderheiten der Singer 319K

#34 Beitrag von Berit »

Nopi hat geschrieben: Freitag 11. November 2022, 11:26
Berit hat geschrieben: Donnerstag 10. November 2022, 10:45 6. Schlechte Zugänglichkeit der Spulenkapsel
Das ist korrekt, aber auch nicht schlechter, als bei allen anderen Nähmaschinen, bei denen der Greifer so angebracht ist. Ist die Maschine im Tisch eingelassen, so muss man sich ziemlich verbiegen, um die Kapsel einzusetzen, aber es wird vermutlich gehen, ohne die Maschine zu kippen und bei einiger Routine auch blind, denn es gibt ja keinen Grundplattenschieber, um das Ganze unter Sichtkontrolle vorzunehmen, wie z.B. bei Pfaff. Ist die Maschine im Sockel, muss sie nach hinten gekippt werden (wie bei fast allen anderen Maschinen, die in Sockeln untergebracht sind), um die Spule zu wechseln. Der fehlende Grundplattenschieber ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Singer 319. Die Singer 216 z.B. hat den auch nicht. Dies ist m.M.n. ein echter Nachteil aller Nähmaschinen, bei denen das so konstruiert ist.
Hallo Berit,
Bei meinem nächsten Besuch zeige ich Dir, wie das bei Singer geht - bei Singer wird die Platte als Ganzes geschoben und dazu heben sie die Stichplatte zuerst über die Zähne vom Transporteur.
Dazu nutze Singer bei der 306 und 319 vermutlich ein Werkzeug (Schraubendreher als Hebel) - vorn im ovalen Fingerloch - ein Kniff den man damals im Singer Shop gezeigt bekam. Man kann den kleinen schwarzen Pfaff Schraubendreher sehr gut dafür nutzen biggrin (oder einen Eis Stil aus Buchenholz, damit es keine Kratzer gibt, oder einen Eierlöffel ...)
Bei der Singer 215 ist die Stichplatte geteilt
bei der Singer 216 und 316 (neue Form) ist die Stichplatte durchgehend (wie bei Singer 206) - allerdings gibt es die 216 und 316 Stichplatten mit und ohne Ovalloch zum Hebeln. bei den Stichplatten ohne Ovalloch ist die feder so weich, dass einfacher Fingerdruck vorne genügt, um die Stichplatte über die Zähne vom Feed dog zu hebeln
Lieber Nopi,
Mir ist schon klar, wie man die Platte abnehmen kann. Aber ich finde das umständlich und man muss immer aufpassen, dass man nicht mit der Nadel kollidiert. Insofern lasse ich die da, wo sie ist, wenn ich nur eine Spule einlegen möchte.

Noch kurz zum Anlasser: ich denke, dass der durchaus serienmäßig und original zu der Maschine ist. Evtl gab es mehrere Optionen, aber nachgerüstet wird er nicht sein. Ich habe den bei eBay.com sogar in mintgrün gesehen. M. W. ist der auch bei den Featherweights im Original-Lieferumfang gewesen.
Viele Grüße, Berit
Mundlos Victoria, Kl. 79M, 90, 99, Singer 15, 128, 66, 319K, 670G, Pfaff Kindernähmaschine, Pfaff A, B, 11, 30, 31, 103, 130, 145, 230, 260, 360 Automatic, 1211, Phoenix Automatic 283, Bernina 117-K

gelöschter User N

Re: Besonderheiten der Singer 319K

#35 Beitrag von gelöschter User N »

Berit hat geschrieben: Freitag 11. November 2022, 12:38 Noch kurz zum Anlasser: ich denke, dass der durchaus serienmäßig und original zu der Maschine ist. Evtl gab es mehrere Optionen, aber nachgerüstet wird er nicht sein. Ich habe den bei eBay.com sogar in mintgrün gesehen. M. W. ist der auch bei den Featherweights im Original-Lieferumfang gewesen.
Viele Grüße, Berit
das kann natürlich sein, denn deine Maschine war nicht vom Deutschen Markt.
Ich hab gerade mal in Hamburger Kleinanzeigen nach Singer 401 geschaut:
2 haben das braune Gaspedal (Anzeige 2230347920 und Anzeige 2259888001) eine hat das Pin Pedal (Anzeigen-ID 2203185357) welches mehr als defekt aussieht wink

es kann sein, dass diese Pedale in Deutschland geliefert wurden, weil die deutschen Hersteller auch "richtige" Pedale lieferten.

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